Diese Geschichte beginnt mit einem Loch. Es ist um die vier Meter tief, stinkt, ist mit allem möglichen Metallkram gefüllt und verschluckt mich, während ich meine ersten paar Schritte in die warme, süß duftende Welt von Ghana setzen will. Es handelt sich um einen nicht verschlossenen Gully, den ich bei all den neuen Eindrücken, die auf mich einprasseln übersehe. Retten, tun mich meine Arme und Beine, die an den Rändern des Lochs hängenbleiben. Sofort eilen mir mehrere Ghanaer entgegen und ziehen mich heraus.
Der Schreck sitzt so tief, das er mich direkt zum nächsten Fehler leitet.
Einer der Ghanaer, ein Mann im fortgeschrittenen Alter, senkt seine Stimme und bittet mich immer wieder um ein Trinkgeld. Prompt drücke ich ihm Scheine aus meinem Portemonnaie in die Hand, ohne zu realisieren, das ich gerade dreißig Euro „Trinkgeld“ gegeben habe; Geld, das für fast eine Woche Nahrung reicht.
Wir werden von Richmond, unserem Vorgesetzten in der Organisation und einem ehemaligen Kind aus dem Projekt in Empfang genommen, die uns mit einem roten, leicht rostigen Pick-Up abholen und mit uns tiefer in die gigantische Hauptstadt Accra hineinfahren. Alles ist voll beleuchtet, ein kleiner Stand reiht sich an den nächsten, überall schallt Musik aus den Häusern, die Straßen sind auch noch zu dieser Uhrzeit (es ist ungefähr elf Uhr nachts) voll von Motorrädern, Autos und Fußgänger*innen. Wir biegen auf einen kleinen Parkplatz ein. Neben uns befindet sich eine kleine, aus Metall zusammengeschusterte Bude, aus der weißer Qualm dringt. Eine Frau in ihren Dreißigern und zwei Kinder, ungefähr zehn oder elf Jahre Alt sitzen im inneren. Richmond tritt vor und fängt an in einer, für mich unverständlichen Sprache mit der Frau zu sprechen. Er leitet uns auf die andere Seite der kleinen Hütte und zeigt auf ein paar Plastikstühle. Sie sind abgenutzt und an vielen Stellen durchgebrochen, so das uns einer fehlt um jedem von uns eine Sitzmöglichkeit zu bieten. Ein Wächter, der für einen der angrenzenden Läden verantwortlich zu sein scheint, bemerkt unser Problem und steht sofort von seinem eigenem, komplett intakten Stuhl auf um ihn uns anzubieten. Wir verneinen erst höflich, nehmen seine Einladung allerdings nach kurzer Zeit an. Das Essen, was Richmond uns besorgt hat, besteht aus Nudeln, verschiedenen Arten von Fleisch und Fisch und unterschiedlichen Gewürzen.
Es riecht Fremd und anders als alles, was ich in Deutschland bis jetzt gegessen habe. Mit dem ersten Bissen stellt sich heraus, das es vor allem eins ist: Scharf!
Ich fange sofort an zu schwitzen und meine Augen beginnen zu tränen, die einzige, die mit dem Essen weniger Probleme zu haben scheint, ist Willa. Lina und ich geben nach kurzer Zeit auf und packen das Essen ein; für später.
Wir kommen gegen zwölf Uhr an unserem neuen Zuhause an.
Der Garten ist größer, als ich vermutet habe und von einer hell, ocker-erdfarbenen Mauer umgeben. Kurz vor de Haus steht eine kleine Überdachung, unter der zwei kleinere Sofas stehen.
Richmond merkt, als wir die Koffer und Rucksäcke von dem Pick-Up geladen haben, dass er die Hausschlüssel bei sich zu Hause liegen gelassen hat.
Er steigt hastig wieder in das, nach einem Traktor klingenden Gefährt und versichert uns, er würde bald wieder da sein.
Der Rest von uns, macht es sich unter dem Dach bequem.
Alles ist hell erleuchtet von zwei Lampen, die nackt und kalt-strahlend am Überhang des Hausdachs befestigt sind. Gideon, das ehemalige Projektkind, erklärt uns, dass das unser Schutz vor Einbrechern sei.
Während die Mücken anfangen um unsere verschwitzten Körper zu schwirren, versucht er uns die ersten Wörter und Sätze auf Twi, der weitverbreitetsten Stammessprache in Ghana beizubringen und scheitert damit kläglich, weil wir weder das Twi noch das ghanaische Englisch verstehen. Leicht zerstochen und zum umfallen müde betreten wir unser zukünftiges Heim und sind eine halbe Stunde später alle in unseren Betten.
(Ich in einer der ersten Nächte in unserem Volu-Haus)
Der nächste Tag beginnt früher als erhofft.
In der Nachbarschaft lebt ein ganzes Rudel von Hähnen, die sich noch vor Sonnenuntergang dazu entscheiden ihre schönste Singstimme der Welt zu offenbaren und mich somit aus den Federn zu reißen. Am gedeckten Frühstückstisch erwartet mich Jule, eine ehemalige Freiwillige, die seit ihrem Jahr immer wieder zurück nach Ghana kommt, um alte Freunde zu besuchen und das Land noch weiter zu bereisen.
Wir tauschen uns über die Gegend aus und lernen „Aunti Maggi“ kennen, die während unseres Aufenthalts für uns, unter der Woche kocht und guckt, das wir das Haus sauber halten.
Ihre Gerichte sind in Deutschland unter den ehemaligen Freiwilligen ruhmreich bekannt und schmecken auch so.
nach dem Essen lernen wir die nähere Nachbarschaft kennen.
Da gibt es Paulina, die einen kleinen Getränkemarkt hat, Nikolas, der im Haus direkt gegenüber von uns wohnt, scheint für kleiner Bauarbeiten verantwortlich zu sein, die er allerdings eher spontanen und nach eigenem Zeitplan zu erledigen scheint.
Die ersten Tage vergehen voller ständigem Staunen, alles riecht neu, sieht neu aus und fühlt sich anders an.
Es sind Kleinigkeiten, die diese Welt von Meiner bisherigen am meisten unterscheiden, die vielen Stände an den Straßenrändern, die von der Saison abhängigen Snacks, die auf den Köpfen von Frauen allen Altersklassen zwischen den Autokolonnen majestätisch umher-geschaukelt werden, die Menschen, für die wir einen Blickfang bieten und so bei jeder Person, die wir angucken uns immer in deren Augen wiederfinden und die Kinder, die über die Straßen tollen und uns teilweise begeistert entgegen gerannt kommen.
(Bild zeigt eine von den vielen Kühen, die jeden Morgen an unserem Haus vorbeigeleitet werden)
Am nächsten Sonntag gehen wir das erste Mal in die Kirche.
Sie ist das mit Abstand modernste Gebäude in unserem Viertel. Alle Menschen, ziehen die für ihre Schicht feinsten Klamotten an und die Bänke sind alle gefüllt.
Wir sind, wie sonst auch die einzigen Weißen, was hier zum ersten Mal zum Problem wird. Denn die Blicke, die uns immer überall bin verfolgen können einen hier durchaus schon mal in Verlegenheit bringen.
Alle achten darauf, ob unsere Bewegungen, Antworten und Gesänge der Norm entsprechen.
Und diese Norm einzuhalten ist nicht nur schwierig, weil ich seit einer Ewigkeit in keinem Gottesdienst mehr saß, sondern auch weil der ghanaische nicht mit dem Deutschen zu vergleichen ist.
Es wird gesungen und das nicht nur laut und energetisch sondern außerdem mehrstimmig, nicht nur von dem vorne vortragenden Chor sondern auch aus den Bänken schallt dreistimmiger Gesang. Die Predigt vom Pastor ist energischer und deutlich persönlicher und wir mit Lachern und immer wieder Zustimmung aus dem Publikum begleitet.
Nach der fast drei stündigen Messe, werden wir von Sister Benedicta, die in unserem Projekt arbeitet ihren Freunden vorgestellt. Es sind so gut wie alle Altersgruppen, von Jungen und Mädchen in unserem Alter bis hin zu Menschen in ihren Siebzigern unter ihnen vertreten. Wir werden von allen willkommen geheißen. Eine von ihren Freunden; Josephin, krallt sich uns und bringt uns auf eine benachbarte Baustelle um uns auszumessen und Kleidung für uns zu nähen.
Wir machen Fotos, schütteln Hände und hören Namen, die wir sofort wieder vergessen.
Ein paar Tage später lernen wir Father Eric, den Pastor kennen. Eine Ehre, die nicht jedem zuteil kommt. Er entpuppt sich als ein sehr humorvoller und weiser Mann, der uns viel über seine Einstellung zum Leben erzählt und uns ans Herz legt „[to] always focus on the good side in life; and somtimes even ignore the bad.“
Neben der Kirche leitet er eine Entzugsklinik und beschreibt die Männer, die dort aus freien Stücken sitzen die „tapfersten und stärksten Männer“ sein, die er kennt.
Am folgenden Tag fahren wir das erste Mahl zum FCP (First-Contact-Place) der Organisation. Es regnet in Strömen und die Straßen sind dicht befahren. Wir schlängeln uns an Fußgänger*innen, Motorädern und den feilbietenden Frauen mit ihren Wahren vorbei, werden von ein paar Polizisten angehalten und brettern mit viel zu hoher Geschwindigkeit in Richtung Markt, der sich hier über viele Kilometer in die verwinkelten Straßen von Ashaiman erstreckt, bis ein hohes, von Dreck eingefärbtes Gebäude in Sichtweite kommt.
Mitten im Herz dieses ehemaligen und teilweise immer noch bestehenden Slums ragt dieses Gebäude hoch hinaus und symbolisiert eine Art Hoffnung.
Wir lernen die ersten Mitarbeiter*innen kennen, unter anderem Titi, den Streetworker, der ein ehemaliges Straßenkind ist und jetzt das FCP leitet. Er erklärt uns, wie die Arbeit im FCP funktioniert, wo die neuen Kinder her kommen, wie sie hier auf die Schule vorbereitet werden und was unsere Rolle in dem ganzen Konstrukt seien wird.
Nach dem Gespräch, führt er uns zu den Stellen an denen er die meisten Kinder, die auf der Straße arbeiten findet und probiert von dem Projekt zu überzeugen, auch wenn hierbei die Eltern oftmals das größere Hindernis darstellen.
Den Abschluss dieser ersten Woche, macht die erste Begegnung mit Senior Peter, der uns nicht nur in die ghanaische Lebensweise einführen soll, sondern uns auch Grundkenntnisse im Twi bei bringen soll. Er entpuppt sich als ein eher klein gewachsener Mann, der seine geringe Größe allerdings durch seine Ausstrahlung mehr als wett machen kann.
Er erzählt von sich; seinem frühen Leben auf den Straßen Ghanas, seinem Aufstieg durch die Schule und davon sich schon immer zu etwas wichtigem berufen gefühlt zu haben. Er leitet mittlerweile seine eigene Schule und eine Kirche, und hilft in seiner Gemeinde und weit über sie hinaus den Menschen wo er kann.
Er bringt uns die große Bedeutung der Wochentage, besonders der der eigenen Geburt bei, wiederholt unsere ersten Twi Erfahrung in verständlich und schafft es uns über fast zwei Stunden komplett zu fesseln. (Sonnenuntergang aus unserem Garten)
Die erste Woche vergeht schneller, als ich sie realisieren kann und kommt mir doch wie eine Zeit der endlosen Erfahrungen vor.
Comentários